Die erste Orangenlieferung aus Rosarno ist nun angekommen.
Gilles Reckinger ist Autor des Buches «Bittere Orangen». Am 21.November hat er dazu einen Vortrag in Lippstadt gehalten.
Seit 2012 ist er immer wieder in Rosarno, woher die fairen und mafiafreien Bioorangen kommen, die in Direktvermarktung an Bioläden und Gruppen solidarischen Konsums – wie Weltläden – geliefert werden. In seinem Vortrag setzt er die Lebensbedingungen vor Ort in Zusammenhang mit lokaler und europäischer Politik und zeichnet den Weg von Lampedusa, dem «Sinnbild für Bootsflüchtlinge», auf das Festland.
Was wird aus den Menschen, die mit Booten auf Lampedusa landen?
Von Lampedusa werden die Menschen auf das Festland gebracht, während der Verfahren leben sie auf der Straße, ohne Papiere, ohne Unterstützung – da bleibt nur prekäre Arbeit auf den Orangenplantagen – ohne jeden Schutz. Im Fall einer Ablehnung können sie das Land oft nicht verlassen. Selbst mit einem positiven Bescheid bleiben sie meist in der prekären Situation. Die Arbeit auf den Plantagen bedeutet nur Saisonarbeit, schlechte Bedingungen und schlechte Bezahlung. Der Jahresverdienst liegt bei etwa 1500 Euro. Der Arbeitsstrich ist die Arbeitsvermittlung, dort werden starke, gesunde Männer ausgewählt. Das heißt, selbst diese Arbeit ist keine leicht erreichbare.
In den 1980ern brachen die Preise für Orangen ein, so lagen die Plantagen brach, weil die Einheimischen zu diesen Löhnen dort nicht arbeiten wollten. In den 1990ern kamen die Afrikaner – und mit ihnen entstanden die prekären Arbeitsplätze, die den Orangenanbau durch Ausbeutung wieder möglich machten. Und so wuchsen mangels fehlender Unterkünfte die Zeltstädte.
Die Migranten erfahren Diskriminierung und Marginalisierung – während auf der anderen Seite die Profite der Handelsketten steigen. Möglich ist das nur, weil die europäische Politik sich weigert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die diese Zustände verhindern.
In den Zeltstädten entwickeln sich urbane Strukturen
Sie sind solidarisch organisiert. Die Migranten lernen schnell Italienisch, sprechen überhaupt viele Sprachen, überwinden soziale und religiöse Unterschiede und leben die Multikultur. Damit sind sie viel besser auf Europa vorbereitet als die Europäer. Die Migranten schaffen ihre eigenen Regeln, sind flexibel und bieten viele Fertigkeiten. Die Menschen rücken zusammen – brennt ein Zelt ab, finden die nun obdachlosen Bewohner gleich Platz in selbst schon vollen Zelten.
Die Zustände in den Zeltstädten, für die sich selbst die Lokalpolitik nicht zuständig fühlt und die Perspektivlosigkeit der Bewohner, die meist Jahre dort verbringen, führen zu vielen Krankheiten, darunter auch psychische Erkrankungen. Die Menschen bleiben ohne ärztliche Versorgung. Frauen erleben Missbrauch – auch mehrfach. Inzwischen leben dort auch ältere Menschen, die einfach schon lange im Land sind. Für sie wird es in diesen Strukturen immer schwieriger, Arbeit zu finden.
Zentraler Teil der urbanen Strukturen ist zum Beispiel der Mann, der die Fahrradwerkstatt als Herz der Zeltstadt betreibt. Er weiß um seine hohe Verantwortung für die Menschen, die fahrtüchtige Fahrräder brauchen, sonst können sie nicht zum Arbeitsplatz kommen und damit kein Geld verdienen.
Die urbanen Strukturen drohen sich allerdings aufzulösen, da weggeht, wer es kann, zurück bleiben Kranke aller Art, die diesen Ort nicht mehr verlassen können.
Migranten sind so unerwünscht, dass öffentlich gebaute Häuser unbewohnt bleiben – und die Mafia hält die Region im Griff.
So beschreibt Reckinger die Situation.
Die Verantwortung dafür liegt in einer radikalisierten Migrationspolitik, dem geringen Interesse der italienischen Regierung an Veränderungen und insgesamt in den Strukturen in Europa, die prekäre Arbeitsplätze schaffen. Sie sind kein Nebenprodukt, sondern das Ergebnis einer neoliberalen Marktordnung und dysfunktionaler Politiken. Ausbeutung funktioniert nur mit Rechtlosen.
Also müssen es die Menschen vor Ort selbst in die Hand nehmen
So hat sich der Verein SOS Rosarno gegründet, in dem Aktivisten, Bauern und Migranten gemeinsam die Geschicke lenken: durch Arbeitsverträge für die Saisonarbeiter:innen, Bioanbau und Direktvermarktung. Sie müssen dem Druck der Supermarktketten und der Mafia standhalten.
Weitere Unterstützung kommt von Mediterranean Hope – gegründet von der Föderation protestantischer Kirchen in Italien. Sie verteilen Warnwesten und Lichter für die Fahrräder – denn so wird Leben gerettet. Denn so Reckinger: «Es geht permanent um Leben und Tod.»
Es gibt Vereine, die helfen, Menschen in feste Arbeit vom Süden in den Norden zu vermitteln. All dies geschieht ehrenamtlich.
Was wäre möglich, wenn sich die Politik endlich dafür interessieren würde.
Daraus werden die Forderungen formuliert: Rechtsstaatlichkeit muss auch für Migrant:innen gelten. Das Lieferkettengesetz ist ein passendes Instrument.
Die Arbeit und die Unterstützung von SOS Rosarno und Mediteranean Hope ist so wichtig, weil Öffentlichkeit hilft und schützt.
Und die wird mit jeder gekauften Orangenkiste geschaffen.
Gilles Reckinger «Bittere Orangen»
Peter Hammer Verlag GmbH
ISBN: 3779505908
In dieser Saison wird es weitere Lieferungen im Januar und März geben.
Unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!sind sie zu bestellen, hier gibt es auch die genauen Infos.
Und nun geht der Blog in die Winterpause. Im Februar geht es weiter.
06.12.2023
15.11.2023
Der Faire Handel im Aufwind
Fair Trade Deutschland berichtet in einer Pressemitteilung vom 9. Mai von Umsatzsteigerungen im Fairen Handel von 11 Prozent im letzten Jahr. Trotz der Inflation stieg der Absatz für Bananen beispielsweise um 8 Prozent und für Kakao um 4 Prozent. Dagegen sank die Menge an verkauftem Kaffee leicht um 2 Prozent, bei Textilien um 3 Prozent und bei Blumen sogar um 23 Prozent. Soweit ein paar Zahlen.
Unterm Strich war 2022 für den Fairen Handel sicher ein erfolgreiches Jahr. Doch weiterhin gilt – je größer der Anteil fairer Produkte, desto mehr Menschen können sich gegen all die Krisen wappnen, die gerade in den Anbauländern große Probleme bereiten. Die verschiedenen Mechanismen des Fairen Handels helfen dabei. So wird der Prämienaufschlag auf die Erzeugerpreise beispielsweise vor Ort von den Organisationen in gemeinschaftliche Projekte investiert. Denn wenn wir weiter Bananen, Kaffee und Kakao genießen wollen, braucht es mehr Klimagerechtigkeit, Handelsfairness und engagierte Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen, sonst ist der Anbau gefährdet und damit die Lebensgrundlage der Bauern.
Als Grundlage für nachhaltige Landwirtschaft gilt im Fairen Handel das Konzept der Agrarökologie, worin soziale Gerechtigkeit, biologische Vielfalt und die Stärkung von gefährdeten oder marginalisierten Erzeugergruppen zusammengedacht werden. Dabei werden lokale Bedingungen berücksichtigt. Es geht um Ernährungssicherheit und um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes, sowie Anpassungsmaßnahmen an die veränderten Klimabedingungen, wofür gerade die am stärksten Betroffenen, die aber die kleinsten Verursacher sind, Unterstützung brauchen. Hierfür sind politische Rahmenbedingungen notwendig.
Derweil können wir durch unseren Konsum Zeichen setzen.
01.11.2023
Bereits zum dritten Mal können unter der Mail-Adresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Orangenkisten bestellt werden. Gepackt werden sie in 10-Kilo-Kisten und kosten 33 Euro. Wieder wird es drei Lieferungen zwischen November und März geben. Die Bestellfrist endet für die 1. Lieferung am 7. November – geliefert wird am 28. November. An diesem Tag stehen sie abholbereit bei der Firma Horstmann im Warsteiner Weg 6.
Es ist wieder Orangenzeit
Und damit ist es eine gute Gelegenheit, wieder einmal davon zu erzählen, dass eine Landwirtschaft ohne Ausbeutung von Menschen und Umwelt, dazu noch klimaschonend möglich ist. Aktivisten, Landwirte und Tagelöhner haben gemeinsam den Verein SOS Rosarno gegründet, als Antwort auf den immer größeren Preisdruck der Supermarktketten, dem die Bauern ausgesetzt sind, der wiederum zur Ausbeutung der Erntehelfer führt. Mit dem Verein haben sie sich aus diesen Abhängigkeiten gelöst. So beschäftigt er Migranten zu Tariflöhnen, auch Sozialbeiträge werden bezahlt. Geliefert wird nur von Biobetrieben und nur an Bioläden und Gruppen solidarischen Konsums. Die Direktvermarktung sichert den Bauern angemessene, faire Preise, den Erntehelfern feste Arbeitsverträge mit fairer Bezahlung unter anständigen Arbeitsbedingungen. Und den Kunden leckere, frische, giftfreie Orangen. Durch ihren Konsum tragen sie dazu bei, dass Migranten ihr Leben selbst in die Hand nehmen können, dass Bauern wieder ein Auskommen haben und das mit einer umwelt- und klimaschonenden Arbeitsweise.
Gilles Reckinger, Autor des Buches «Bittere Orangen», forscht seit vielen Jahren zu der Arbeits- und Lebenssituation der Erntehelfer in Süditalien, speziell auf den Orangenplantagen in Rosarno. Dazu hält er Vorträge unter dem Titel „Das Gesicht der modernen Sklaverei in Europa“ zur Situation der Erntehelfer in und um Rosarno.
In Lippstadt am 21. November 19 Uhr Jakobikirche
In Hamm am 22. November 19 Uhr VHS Hamm
Und am 23. November wird die Fotoausstellung «Bittere Orangen» um 15 Uhr im Haus Caldenhof, Caldenhof 28 in Hamm eröffnet, die dort dann bis zum 19. Januar 2024 zu sehen sein wird.
18.10.2023
Es gibt Menschen, die man kennen sollte.
«Wer Bäume pflanzt, pflanzt Samen von Frieden und Hoffnung»
(Wangari Maathai)
Die Klimakrise ist nicht plötzlich über uns hereingebrochen. Seit Jahrzehnten gibt es so viele Akteure, die vor der Entwicklung warnen und Lösungen suchen. Eine davon war Wangari Maathai, Biologin und erste Professorin Kenias, die 1977 die ersten sieben Bäume des von ihr frisch gegründeten Green Belt Movement pflanzte, 1993 waren es bereits 30.000.000. Dazu gründen Bäuerinnen Baumschulen, wofür sie Samen von einheimischen Bäumen sammeln und säen, inzwischen sind es etwa 600 und mehr als 50.000.000 gepflanzte Bäume in Kenia. Die Bewegung ist inzwischen in 13 Ländern aktiv.
Für ihr Engagement, Wälder vor Rodung zu schützen, wurde sie beschimpft, immer wieder festgenommen und misshandelt. Mit den Wahlen Anfang 2000 gelang es der Rainbow Coalition, die autokratische Herrschaft in Kenia zu beenden. Maathai wurde stellvertretende Umweltministerin, wovon sie zurücktrat, als die Koalition zerbrach, weil der neue Präsident eine versprochene Verfassungsreform nicht umsetzen wollte.
Wangari Maathai verband Demokratie, soziale Gerechtigkeit und eine gesunde Natur miteinander. Dafür erhielt sie 1984 den Right Livelihood Award – den alternativen Nobelpreis – der für Engagement für die Gestaltung einer besseren Welt vergeben wird.
2004 erhielt sie den Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung, mit dem Menschen und Vereinigungen ausgezeichnet werden, die sich für die Achtung der Menschenrechte, für das gewaltfreie Lösen von Konflikten und den Schutz unserer Umwelt einsetzen. Und im gleichen Jahr wurde sie auch noch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, für ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung, Frieden und Demokratie.
«Sie hat einen gesamtheitlichen Zugang zur nachhaltigen Entwicklung gewählt, der Demokratie, Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte umfasst» (Nobelkomitee). Den Preis hat sie erhalten, für ihren couragierten Widerstand gegen das frühere kenianische Regime und als Gründerin des Green Belt Movements.
Maathai war Mitglied im Club of Rome und des Abrüstungsbeirats der UN.
2011 verstarb sie an den Folgen einer Krebserkrankung mit 71 Jahren.
Sie ist eine Frau, die man kennen sollte.
04.10.2023
Vor etwa einem Jahr haben wir an dieser Stelle den Verein Santatra – Partnerschaft mit den Menschen in Madagaskar e.V. vorgestellt.
Und nun sind sie wieder im Laden – die Vanilleschoten von Santatra aus Madagaskar
Die Menschen in Madagaskar gehören zu den ärmsten der Welt, also zu denen, die am wenigsten zur Erderhitzung beigetragen haben, dafür am stärksten unter den Folgen leiden – also unter Starkregen, Wirbelstürme, Dürren – und gleichzeitig keine Ressourcen haben, sich zu schützen. Der Verein hat sich gegründet, um in Deutschland spenden für das Projekt zu sammeln, um damit den Aufbau einer Landwirtschaft zu unterstützen, die widerstandsfähiger und umweltschonender ist.
Die Arbeit der Kleinbauernfamilien ist ein gutes Beispiel, wie die Bekämpfung der Armut unmittelbar verbunden ist mit einer klimagerechten Lebensweise. Der Anbau in Agroforstsystemen, also in einem friedlichen Miteinander und gegenseitiger Unterstützung von Obst-, Nutzholzbäumen und Gemüse in Mischkultur, wie die Kleinbauern sie aufbauen, sichert auf Dauer die Ernährung der Menschen, liefert Produkte für den heimischen Markt und Exportprodukte, wie die Vanilleschoten. Langfristig werden Kaffee, Pfeffer und Nelken dazukommen. Mehrere Baumschulen versorgen die Bauern und Bäuerinnen mit Setzlingen.
Agroforstsysteme schützen den Boden vor Erosion, eine stabile Humusschicht kann sich wieder aufbauen, die nährstoffreich ist, wie ein Schwamm Wasser aufnehmen kann und CO2 speichert.
Bis der Hunger wirklich überwunden ist, ist noch ein Weg zu gehen, aber der Anfang ist gemacht. So mündete der Abend vor einem Jahr in den allgemeingültigen Satz:
«Entwicklung braucht einen langen Atem, aber sie ist möglich.»